Materialdatenbank Glücksspielsucht

Titel

Kritische Anmerkungen zum Suchtbegriff in der ICD-11

Herausgeber_innen/ Autor_innen
Petry, J.
Jahr
2020
Bezug über
In: Suchttherapie 2020, 21(03), S. 126-131
Format
Fachartikel
Beschreibung

Rauschzustände werden auf die pharmakologisch beschriebenen Substanzwirkungen reduziert. Das „Abhängigkeitssyndrom“ definiert Sucht unabhängig vom kulturellen und situativen Kontext. Beim Konzept der „Kontrollminderung“ handelt es sich um eine Metapher: Die hierarchisch strukturierte Fähigkeit der Persönlichkeit zur Kontrolle ihres Suchtverhaltens wird nicht aufgeklärt. Diagnosen basieren auf nur wenigen Kriterien: Es fehlen die Biografie der betroffenen Person, die Schwere der Störung und soziodemografische Merkmale. Die „Glücksspielsucht“ und der „pathologische PC/Internetgebrauch“ (Gaming disorder) werden als Süchte klassifiziert, obwohl sie sich typologisch als unterschiedliche Störungen abgrenzen lassen. Sucht ist primär sozialer Natur: Sie erwächst aus einem anhaltenden Mangel an sozialer Integration und setzt ein breites Angebot suchtspezifischer Anreize voraus. Das Krankheitskonzept hat zu einer biomedizinischen Blase geführt, wodurch psychosoziale Interventionen zurückgedrängt wurden. Alternativ lässt sich süchtiges Verhalten als ein sinnvoller Bewältigungsmechanismus überstarker Belastungen ansehen. Zur Überwindung einer Sucht ist es erforderlich, die Autonomie der leidenden Person zu stärken. Dies erfordert die aufeinander bezogene Kooperation der beteiligten Berufsgruppen.